Kurzgeschichte #021 | Endgegner

Donnernde Fanfaren erfüllten die Ruinen von Mount Vescartes. Wo auch immer noch ein Stein auf dem anderen stand, dort glomm er gespenstisch in der aufkommenden Dunkelheit. Die düstere Schwaben stoben durch die großflächigen Risse und Löcher im Mauerwerk der alten Burg. Längst lebte hier kein Mensch mehr, was jedoch nicht bedeutete, dass das Gemäuer unbewohnt war.
Tereos nahm den Zweihänder vom Rücken und stellte sich breitbeinig in eine kampfbereite Pose. Die Linke am Griff, die Rechte an dem lederumwickelten Stück der Haltestange. Daraus hervor ragte die mannsgroße Klinge des uralten Relikts. Scharf als käme sie jungfräulich just in diesem Moment vom Schleifstein.

Der Krieger hob den Blick und sah seinem Kontrahenten entgegen, der sich zeitlupengleich zwischen den glühenden Steinen hervorschob.
Ein Turm von einem Monstrum. Ronen Vescartes, benannt nach der Burg, in der er sein Unwesen trieb, hatte ihn erblickt und war im Begriff, den Kampf zu eröffnen. Ein schmiedeeisernes Gebilde, durch dunkle Hexerei zusammengefügt zu einem wandelnden Koloss aus Erz, Stein und Schlacke. Wohin er trat, flackerten Feuer auf, die selbst den härtesten Stein erweichten. In den Händen trug er flammende Sicheln, die direkt aus seinem anorganischen Fleisch zu wachsen schienen. Am Beeindruckendsten aber war die flammende Mähne seines Umhanges, die sich flackernd im Wind wand. Im fahlen Licht erweckte sie den Trugschluss, es handle sich um eine Frau, die ihre Arme um den monströsen Leib schlang. Als hätte es jemals etwas gegeben, was ein solches Ding lieben könnte.

Tereos ließ sich nicht täuschen. Langsam Schrittes ging er ihm entgegen. Wartete auf den einen Moment, da seine Zeit gekommen war.
Sekunden verstrichen, lang wie tausend Stunden in einem anderen Leben.
Seine Finger legten sich um sein Werkzeug. Jenes, dazu geschaffen, ihn siegreich durch unzählige Welten zu führen. Dann war es soweit.
Ein kurzes Muskelzucken. Im nächsten Augenblick schaltete sein Gehirn aus und lediglich die endlos einstudierten Bewegungen seines Körpers übernahmen das Steuer.

Linker Stick nach vorne. Rennen. Im Laufen A, eine Rolle. Tereos entgeht dem Hieb. Hinten R, ein schneller Schlag in die Kniekehle. Rennen, Rollen, Schlagen. Wieder und wieder. Gleich einem Geist sauste Tereos um die Beine des Riesen.
Nach nur wenigen Minuten knickt der Gigant ein, fällt auf die Knie und verendet zu Füßen des Kriegers. Er vergeht zu einem Haufen Asche.

»Easy«, flüstert Tereos, alias Jochen Moschus, und drückt erneut A, wie „Aufheben“.
Ein Fenster öffnet sich, erscheint vor seinem Gesicht wie eine Wand aus Schatten. Buchstaben formen sich.

3x Petersilien-Eintopf
1x Knochenfragmente
1x Pfanne ohne Stiel.

Jochen M. flucht und pfeffert den Controller über die Tischplatte hinweg. Ein schneller Schluck aus seinem extrem zuckerhaltigen Getränk und er atmetet rasselnd tief durch. Die eine Hand greift zur Zigarettenschachtel, die andere streicht schnell mit den Fingern über seine Halbglatze. Nachdem die kurze Stichflamme im Nichts vergeht und Rauchschwaden das Zimmer füllen, schließt er das Spiel.
Er öffnet den Browser und aktiviert den Shortcut zu seiner Lieblingsplattform, Schreib-hier-jeden-Rotz-Rein-X.com.

»Das Kaggspiel is so verbuggt. 247 Vesscates Runs und immer noch kein Legendary Loot. Will mein Geld zurück!1! #verarsche“

Die Enter-Taste besiegelt die Botschaft und schmiedet sie fest ans immerwährende schwarze Brett des Online-Hasses.
Jochen Moschus, alias Tereos, schließt den Broser und klickt doppelt auf das Spiele-Icon.
Zeit für Run Nummer 248.