»So endet es wohl«, grummelte Varag-Tar in seinen dichten Bart. Eine grüne Kapuze aus feinem Stoff umrundete sein wettergegerbtes, vernarbtes Gesicht. Das Kampfornat des Ordens. Wohl geschneidert, teuer und schwer zu beschaffen, stand sie letztlich doch vor Dreck, und konnte kaum noch von einem herkömmlichen Lumpen unterschieden werden, den eine jede Gossenratte tragen mochte. Die lange Robe, in derselben Farbe, teilte das Schicksal, und die schweren Ketten, samt der Insignien, hatten längst ihren Glanz verloren.
Umgeben von Blut und Rauchschwaden, dem wuchtigen Schlag in die Magengrube, der sich als Geruch von verwesendem Fleisch offenbarte.
Varag-Tar grämten diese Dinge nicht. Längst nicht mehr. Als Prediger der Jaqidrischen Inquisition, hatte er reißende Flüsse voll Blut gesehen. Hatte Schreie aus gemarterten Kehlen vernommen, kaum zu begreifen, kaum noch einer irdischen Existenz zuordenbar. Ausgelöst von Schmerzen und Verzweiflung, die solch berstende Wunden in die Seele rissen, dass sich selbst das letzte Fünkchen Mensch-Sein zu verflüssigen drohte.
Und Varag-Tar stellte nicht selten den letzten Mechanismus in diesem unwirklichen Apparat des Schreckens dar. Er war das letzte Zahnrad, welches auslöste, und die vernichtende Wirkung in Gang setzte. Er schlug den Nagel ins Fleisch. Drehte die Streckbank noch ein wenig weiter.
Ein Mann hatte ihn einst gefragt, ob er seine Seele dem Feuer von Guaravar, geopfert hätte. Anders könne er sich diese Grausamkeit, diese Abgedroschenheit, diese fehlende Menschlichkeit nicht erklären.
Varag-Tar hatte darüber weder gelacht, noch war er empört. Er tat gar nichts, außer dem Ketzer weiter das Fleisch von den Knochen zu schälen. Seelenruhig, in dem Gewissen, das Richtige zu tun. Denn er stand auf der richtigen Seite.
Auch jetzt zweifelte er daran nicht. Als er die Abnormität erkannte, die sich dampfend aus den Überresten der Schlacht erhob, wusste er, er hatte einen wahren K’darr vor sich. Ein Beweis, dass die teuflischen Mächte agierten; der Ursprung des Bösen, der sein Schaffen legitimierte.
»Endlich zeigst du dich, Vater der Knochen«, brummte er tief und betrachtete die Bestie in aller Ruhe. Unzählige Gliedmaßen, Blutbahnen und knöcherne Skulpturen ergossen sich aus dem albtraumhaften Leib. Ein Feind, dem er nichts anhaben konnte, das wusste Varag-Tar. Mit beherztem Griff umschloss er das jaqidrische Amulett der Demut. Seine Lippen formten ein Gebet, während die grauen Augen unnachgiebig den emporsteigenden Schandfleck fokussierten.
»Reiß‘ meinen Leib entzwei. Eintausend Klingen werden folgen. Eintausend Feuer werden brennen. Ohnmacht wird dich heimsuchen, K’darr. Knochen werden zu Staub, Knochen werden zu Asche. Knochen unterwerfen sich dem Herrn. Nichts weiter als eine bloße Erinnerung wird bleiben von deiner schändlichen Präsenz!«
Obwohl sich die Stimme des Predigers in dessen aufkeimendem Zorn verstärkte, verschwand sie im Wind und der Kakophonie der kreischenden Knochenbestie.
Varag-Tar blickte auf seinen Dolch und die geschundenen Finger. Zu lange stand er schon auf diesem Schlachtfeld, und nun war auch noch sein Gefährte verschwunden. Malek-Tir, ein Anwärter, ein Hitzkopf. Aber ein fähiger Krieger, ein schneller Geist, der zuweilen über die Stränge schlug, und den Kodex nicht beachtete. War er gefallen? Eben war er noch an seiner Seite. Wer weiß.
Mit festem Griff packte er sein Messer und schritt durch die roten Pfützen hindurch auf das Ungetüm zu. Er würde nicht warten, bis der Abschaum des Finsteren sich seiner annahm. Varag-Tar wählte den Zeitpunkt seines Todes selbst.
Nur noch eine Wurflänge trennte ihn von dem Biest, als er stockte. Hatte er richtig gesehen? Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, und er rümpfte wütend die Nase. Begann zu laufen, wollte den Dolch in das Knochengerüst rammen, doch er glitt ins Leere. Ein Schrei entfuhr dem alten Prediger, voll des Zorns.
Plötzlich ertönte ein Lachen. Hell und klar. Keines dämonischen Ursprungs.
Die Bestie flackerte erneut, und verschwand.
Als wäre sie nie da gewesen.
Ungläubig starrte Varag-Tar nach unten auf seine Hände, als könnten auch sie nicht mehr als ein Trugschluss sein. Doch sie blieben. Waren echt.
So echt, wie der Kopf, der dumpf vor ihm aufschlug und ihm zwischen die Beine rollte. Die fahle Haut, die rituellen Narben. Es gab keinen Zweifel. Es handelte sich um einen Hexer der K’darr.
Malek-Tir erschien vor ihm, noch immer lachend. Er wischte seine blutverschmierte Klinge ab, und schob sie zurück in die reich verzierte Scheide.
»Vater der Knochen«, äffte er die Worte des Predigers unverhohlen nach. »Reiß meinen Leib entzwei. Knochen unterwerfen sich dem Herrn.« Der junge Mann lachte dreckig. »Ihr hättet Euch hören sollen!«
Varag-Tar schnaubte.
»Ihr seid ein Kind, Schwertführer! Nichts weiter! Ein dummes Balg, dass den Kodex nicht zu ehren weiß!«
»Und Ihr seid dem stümperhaften Trugbild eines mittelklassigen K’darr Hexers aufgesessen, alter Narr!« Er grölte amüsiert und imitierte erneut die Weisen des Predigers. »Eintausend Klingen werden folgen. Oh bitte bitte, böser Vater der Knochen!«
Varag-Tar steckte den Dolch weg und wandte sich ab. Er hatte keine Lust, sich die Schmähungen dieses Kindes anzuhören. Es dauerte lange, bis seine Ohren außer Reichweite waren und die Worte brannten noch lange tief in seinem Gehirn.
Malek-Tir war ein Idiot. Ein Großmaul, und würde sicherlich nicht lange leben. Hoffentlich.
Doch das Schlimmste war, dass der Jungspund Recht hatte.
Du möchtest die Geschichte lieber hören, statt zu lesen?