Kurzgeschichte #018 | Mafax

Es hatte einfach zu schön geklungen, um wahr zu sein.
Jetzt liefen Tränen in seine Maske, ungesehen. Schluchzen erklang, ungehört. Und sein Herz lag in tausend Teilen zersprengt in seinen Armen, unmöglich zu reparieren.

Insgeheim hatte Mafax von Anfang an ein mulmiges Gefühl im Magen gehabt. Seit Landung der Fremden, so eindrucksvoll dieser Moment auch gewesen war.
Er erinnerte sich an das Dröhnen der Düsen, die grellen Lichtblitze im wolkenverhangenen Himmel. Ebenso an das Zischen der schweren Metallbahnen, die sich ansonsten kaum hörbar auf den Boden zu bewegten. Und an die Männer, zumindest waren es überwiegend Männer, die sie hinunterschritten.
Sie trugen Anzüge, wie Mafax sie nie zuvor gesehen hatte, Helme mit Visier aus festem Glas, und Gegenstände, die sich als todbringend und gefährlich herausstellten. Viele im Dorf hatten Angst, manche waren neugierig, manche offen fasziniert.
Die Fremden brachten uns ein verlockendes Angebot, und Hilfe, von denen die einfache Leute nur träumen konnten. Wie gottgleiche Wesen, herabgestiegen nach einer endlich ausreichenden Zahl von Gebeten, gekommen, um das Leid zu mildern, verteilten sie Nahrung, Medizin und Ausbildung im Ort.
Sie brachten Technologie mit sich, die es uns möglich machte, in der gleichen Sprache zu sprechen. Anfangs war es befremdlich, doch sie lernten es schnell.   

Kranke, dem Tode sichere wurden geheilt, erhoben sich aus ihren Betten und fielen den Fremden in die Arme.
Sie nahmen die Waffen, die sie mitgebracht hatten, und weitere, die das einfache Volk nicht verstand, und machten ihrem größten Feind den Garaus. Gerissene Predatoren, seit tausenden Jahren heimisch auf ihrer Welt, wurden in wenigen Tagen ausgerottet. Hunderte der Dorfbewohner jeder Generation hatten sie geholt. Feldarbeiter wie Vieh verschleppt und verspeist. Einzig der Schutz der Wände hatte sie bewahrt.
Und nun waren sie fort. Getilgt, wie ein einfaches Insekt.
Erneut erschienen sie wie Götter.
Doch es waren nicht unsere Götter.
Denn im Vergleich zu den unseren, den Althergebrachten, hatte ihre Großzügigkeit einen Preis.
Sie brachten Verträge, Schwüre und Entsagungen mit sich, als Gegenleistung für ihren Teil, den sie bereits erbracht hatten. Hilfreich zwar, doch ungefragt.
Große Worte fanden sich in den komplizierten Texten.

Gehorsamkeit.

Treue.

Verehrung IHRES Gottes.

Kriegsdienst.

Mafax hatte viele dieser Worte anfangs nicht verstanden.
Doch jetzt, als er den leblosen Leib seiner Schwester in der Hand hielt, verstand er die Kosten dieser Großzügigkeit plötzlich sehr gut.
Sie hatte zu den Alten gebetet, hatte sich nicht abgewendet, wie es niemand im Dorf tat. Warum sollten die Götter, die uns seit Jahrtausenden beschützten, plötzlich nicht mehr da sein? Nicht mehr…gelten?
Doch sie, seine geliebte Schwester Taeva, hatten sie entdeckt. Kerzen hatten gebrannt, das Sinnbild der großen Göttin Ma’Husva in der Hand, war eindeutig, was sie tat.
Plötzlich schallten weitere Worte durch das Dorf, die Mafax zuvor nicht gekannt hatte.

Ketzerei.

Exempel.

Sie nahmen ihr Leben so selbstverständlich, als wären sie es gewesen, die es ihr gegeben hatten. Aber das war nicht richtig, und niemand der einfachen Leute konnte sie davon abhalten. Sie hatten gesehen, was die Waffen der Fremden mit ihren Feinden gemacht hatten.
Schließlich hatte Mafax den erkaltenden Leichnam an sich genommen, tief in der Nacht. Er hatte große Angst, doch er konnte nicht anders. Der Gedanke und der Anblick waren unerträglich.

Tief hinein in die wütenden Sande seiner Welt hatte er sie getragen. Seine Knochen und Muskeln ächzten unter Belastung. Niemals hätte er geglaubt, wie schwer ein lebloser Körper sein könnte. Sei er noch so zierlich im Leben gewesen.
Dort kniete er nun, umwoben von Stürmen, in dämmernder Dunkelheit, seine Schwester auf dem Schoß. Blickte hinauf, zu den Silhouetten der Althergebrachten, den wahren Göttern. Gütig reckte Ma’Husvas Abbild die Hand nach vorne, doch sie brachte keine Medizin, und keine Nahrung, und keine Wiederauferstehung für Taeva.

Mafax schluchzte und krampfte unter der Anstrengung seiner inneren Pein.
Nein, Ma’Husva brachte keine Medizin, und keine Nahrung, und keine Waffen, und sie merzte keine Feinde aus.
Sie spendete Hoffnung.
Und sie verlangte nichts im Gegenzug. Schrieb keine Verträge.
Mafax‘ Leben war gut gewesen, ohne Medizin und Waffen, mit Hunger und Feinden.
Und mit seiner Schwester.

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