Ein schwerer Luftzug fegt durch die Steppen von Khardesh, trägt Sand und kleinere Steine mit sich. Die unwirtliche Gegend saugt das Wasser und alles Leben aus der Materie, und lässt ausschließlich ein karges Biotop des Todes zurück.
Zusammen mit den Überbleibseln der einstigen Zivilisation, der blühenden Schöpfung des Archipels, fauchen Worte durch die Dünen. Roter und beiger Fels wirft die Poesie des Grauens zurück und schafft eine sonore Kakophonie, die nicht für menschliche Ohren bestimmt ist.
»Vek nar, shar’am kel bur na hoistian«
Das Brummen des Rituals schafft Freude in den Eingeweiden Zardeks. Der Beduine der Shardai, einst ein Mensch, vor einer unbekannten Zahl von Jahren, saugt die Melodie in sich auf, wie ein Schwamm das Wasser. Eintausend Kilometer, oder mehr, ist er gelaufen, um diesen Ort zu sehen. Der Wind, der die Worte seiner Göttin mit sich trug, kündigte ihm schon vor langem an, dass er hier einen Quell der Freude finden würde. Eine Oase der Agonie, gefüllt mit gemarterten Seelen.
Sie hatte Recht behalten, wie immer. Niemals täuscht sich seine Göttin Teuaqa. Die graue Haut Zardeks ist ebenso schartig wie seine langen knöchernen Fingernägel. Er kleidet sich in fransigen roten Stoff, grob gewoben und kaum fest genug, um die beißenden Winde abzuwehren. Ein Luxus, den er sich nicht erlaubt, denn es spielt keine Rolle. Menschliche Schwächen wie Schmerz oder Komfort hat er längst hinter sich gelassen: vernichtet, verbrannt, zerschmettert.
Mit Genugtuung saugt er die trockene Luft durch seine spitze Hakennase und schließt ekstatisch die Augen. Teuaqa singt noch immer ihre fröhliche Weise des Niedergangs. Eine Ode an die Vergänglichkeit der anderen, ein Loblied auf die eigene Unendlichkeit. Mögen die Menschen sie auch niederträchtig und verdorben nennen, so sind es doch sie selbst und ihre Sünden, die das Gedeihen der Göttin erlauben.
»Tarpea’u tamua kal var shga, teuama bur bion«
Sie frohlockt, denkt Zarek, und muss ebenfalls lächeln. Die Gefühle springen auf ihn über und versetzen ihn in einen Taumel des Glücks.
Er öffnet die vertrockneten Lider und gewährt seinen orangefarbenen Augäpfeln ein wenig Licht. Langsam schiebt sich ein Fuß vor den anderen. Ohne Eile erklimmt er die Anhöhe und stützt sich dabei auf seinen Wanderstock. Nicht, dass er ihn nötig hätte, es war ein Ritual. Der Wanderstock ist das Szepter Teuaqas, der einzige und stete Begleiter der Beduinen. Der Anblick, der sich Zardek nun offenbart, ist jeden gelaufenen Meter wert. Ein Blick auf die Gestalten, die sich die gewundenen Wege durch den roten Fels hinabschlängeln, verrät ihm, dass er weder der erste, noch der einzige seiner Art hier ist. Doch das stört ihn nicht. Die Beduinen der Shardai wandern seit Jahrtausenden dem Ruf ihrer Göttin nach, gierig darauf gefüttert zu werden. Es ist stets genug für alle da.
Wieder lächelt Zardek, während er die steinerne Architektur bewundert. Die Menschen dieses Ortes haben beeindruckendes geschaffen. Massive Mauern, hoch wie Kathedralen, gigantische Torbögen und Götzenbilder, die den Feind verschrecken sollen. Der sechsäugige gehörnte Löwe des Südens prangt auf der Pforte zur Stadt, droht alle Feinde mit seinem Blick zu vernichten.
Heute nicht, kichert Zardek in Gedanken. Der Löwe Zerestrian, das Wappentier Kardeshs, ist zu einer zahnlosen Katze verkommen. Sein innerstes Heiligtum, die Stadt, die er zu beschützen schwor, ist verloren. Aufgefressen. In Schande verkommen.
»Tevilis kam puriek, va a la’ren, tem poia. Vek nar«
Begleitet von der Göttin Gesang steigt Zardek den Trampelpfad hinab, die Augen stets auf die Stadt gerichtet. Auch die anderen Schutzheiligen auf den Mauern vermochten nicht, die drohende Gefahr abzuwenden. In den Maßstäben der Menschen mochte Kardesh stets ein sicheres Land gewesen sein. Geradezu größenwahnsinnig und protzig feierten sie sich selbst, bevor das Chaos selbst die vermaledeiten Seelen aus ihren Körpern drückte. Teuaqa, seine geliebte Göttin war gekommen, um zu berichtigen, was viel zu lange schiefgelaufen war.
Die arroganten Hallen aus Stein, glitzern im Antlitz der wolkenverhangenen Sonnenstrahlen. Doch selbst die Sonne hat sich gegen sie gestellt. Sie verbrennt das Land, schmort die Leiber und nährt den fleischgewordenen Albtraum, der über Kardesh gekommen ist.
Das Fleisch der Unwürdigen, die Überreste der Sterblichen, quellen aus den Bauten, wie ein tosender roter Ozean. Es bricht durch die Decken, Säle und Torbögen, glänzt im Sonnenlicht wie reinster Rubin und lockt die Pilger des Todes an ihr Ziel.
Zardek freut sich bereits. Wäre er noch ein Mensch, würde er sich genüsslich über die Lippen lecken. Er hat allen Grund zur Freude. Ein Festmahl wartet auf ihn. Kredenzt von seiner Herrlichkeit persönlich. Es wird genug zu fressen geben. Und wenn Zardek fertig mit seinem Festmahl sein wird, dann wartet bereits die nächste Stadt auf ihn und die anderen Beduinen.
Er spürt bereits, wie die Göttin weiterzieht. Das Lied entfernt sich, wird leiser, doch es bleibt gut hörbar. Sollten es wieder eintausend Kilometer sein, so wird er sie mit Freuden gehen.
Am Ende wird eine weitere Stadt ihren eigenen Sünden anheimgefallen sein. Wird die Pforten für Teuaqa geöffnet haben und sein Fleisch untertänigst darbieten.
Und Zardek wird zur Stelle sein.
Demütig und hungrig.
Du möchtest die Geschichte lieber hören, statt zu lesen?