»Mach doch langsam, du Hohlbirne!«, schrie eine wütende Stimme aus dem Laderaum des Vans.
Roland, der Fahrer, kicherte, antwortete aber nicht.
»Das ist nicht lustig! Die Schlaglöcher ruinieren uns die gesamte Ausrüstung!« Heiko, der Mann hinten, schnaubte aufgebracht und prüfte die Gerätschaften, die um ihn herum blinkten. Die Erschütterung könnte die Sensoren beschädigen, oder ganz zerstören. Er hatte keine Lust alles neu zu kalibrieren, vor allem nicht, wenn sie sich mitten im Sperrgebiet aufhielten. Es galt schnell zu sein, und keine Aufmerksamkeit zu erregen. Stundenlanges Testen und Ausrichten widersprach diesem Plan. Auf unangenehme Konfrontationen mit den Behörden hatte er erst recht keinen Bock.
Plötzlich bremste der Wagen abrupt ab. Heiko verlor den Halt und krachte scheppernd in die Armaturen vor sich. Ein Bildschirm kippte um, obwohl er festgeschraubt war. Kabel fielen herab und wickelten sich um seine Gliedmaßen. Er fluchte und schrie seine Wut heraus. Mäßigung war noch nie seine Stärke. Heiko war noch nicht einmal zur Hälfte fertig mit dem Entwirren, da wurde die Tür des Vans aufgerissen und Roland starrte ihn grinsend an.
»Du fährst wie ein Gestörter!«, schnaubte Heiko. »Den Rückweg erledige ich!«
Roland tadelte ihn spielerisch mit dem Finger.
»Nix da, du hast keinen Führerschein«, belehrte er seinen Kollegen in tadellosem ostdeutschem Dialekt.
Nicht mehr, dachte der andere verärgert und schüttelte den Kopf. Verdammter Whiskey.
»Hör auf mit den Kabeln zu spielen und komm raus« Roland drehte sich um, und verschwand ums Eck des Vans. Heiko verzichtete auf den Fluch, der ihm auf den Lippen lag und arbeitete weiter daran sich zu befreien. Wenige Sekunden später stand er an der Ladekante und zog den Reißverschluss seiner schwarzen Zipperjacke bis oben hin zu. Das Logo der GAB prangte in Weiß darauf. Die Gesellschaft für anormale Begebenheiten.
Es war kalt in diesem Loch, und nass. Er zog die Stirn kraus, als er die Schlaglöcher und Pfützen sah, die sie passiert hatten. Ein Wunder, dass der Wagen noch fuhr.
Mit einem Satz in den Matsch verließ er den Van und umrundete ihn, gesellte sich an der Motorhaube zu seinem Kollegen.
»Das nenn‘ ich mal Brennholz«, jauchzte der fröhlich.
Heiko schüttelte den Kopf. Das war der größte Schwachkopf, der ihm in seinen 25 Jahren Dienstzeit bei der GAB untergekommen war.
»Das ist kein Brennholz, das ist der Quell der Anomalie.«
»Bist du dir sicher?ֿ« Anstatt einer Antwort, hielt er Roland die piepsende Anzeige seines Scanners hin. Ringförmige Wellen lösten sich von einem Objekt, welches ein Stück vor ihnen lag. Heiko kratze sich an der Glatze, während er überlegte. Eine antrainierte Geste, die er kaum mehr steuern konnte.
Sein Blick haftete gebannt auf dem gigantischen Baum, der wirkte, als würde er sich langsam von innen heraus zersetzen. Riesige Teile der Borke lösten sich auf und flogen durch die Luft, ebenso wie Äste und Blätter.
»Beeilen wir uns. Die Strahlung hier kann nicht gesund sein. Geh rauf und richte die Antenne auf Osten aus. Wir brauchen so viele Daten, wie wir bekommen können. Ich halte das Dosimeter im Auge.«
»Osten find‘ ich gut!«, sagte Roland und fing an die Leiter hinaufzuklettern. Heiko schüttelte genervt den Kopf und spähte weiter auf die Anzeige auf dem Scanner. Noch mehr von diesen dummen Sprüchen, und er würde morgen einen neuen Kollegen beantragen müssen, weil dieser aus Versehen in eine Schlucht gestürzt ist.
Er löste sich von den Gedanken und justierte ein paar Knöpfe auf dem metallenen Gerät. Noch immer kein stärkeres Signal. Was machte dieser Idiot denn so lange?
»Was ist mit der Antenne?«, rief er ungeduldig.
»Heiko«, antwortete Roland nervös.
»Ja?« Seine Stimme überschlug sich vor Erregung. Dieser Kerl machte ihn wahnsinnig.
»Das ist nicht gut, oder?«
Jetzt reichte es. Er drehte sich und blickte hinauf auf das Dach des Vans, wo Roland gerade die Antenne justieren sollte. Was er dort sah, verschlug ihm die Sprache und er ließ den Kiefer hängen.
Roland schwebte in der Luft, etwa einen halben Meter über dem Dach des Wagens, Tendenz steigend. Seine Kleidung, und was noch schlimmer war, auch die Haut, und das Fleisch in seiner Bauchgegend lösten sich Stück für Stück heraus und trieben davon. Die Augen des Mannes färbten sich langsam blutig rot, während immer mehr Teile zum Vorschein kamen, die eigentlich nicht sichtbar sein sollten.
Die Anomalie hatte um sich gegriffen. War die Strahlung hier wirklich so hoch? Zitternd blickte er auf das Dosimeter an seinem Handgelenk. Der Ausschlag war im grün-gelben Bereich, alles in Ordnung so weit.
Der sich langsam auflösende Körper Rolands hingegen sprach eine andere Sprache.
Ebenso wie das Kind, das plötzlich neben der Motorhaube des Vans stand. Ein kleines Mädchen in einem hellblauen Kleid, vielleicht acht oder neun Jahre alt, mit braunen Locken, blickte ihn schweigend an. Heiko legte den Kopf schief und starrte sie entgeistert an.
»Was machst du denn hier draußen, Kleines?«, flüsterte er mehr als er sprach.
Langsam hob sie den Arm, die Handfläche nach oben gerichtet, antwortete aber nicht.
Plötzlich ging ein Ruck durch seine Eingeweide, und ihm wurde schlecht. Als hätte er sich über alle Maße am Whiskey vergriffen, was er definitiv seit mindestens acht Jahren nicht mehr getan hatte. Heiko spürte, wie er langsam den Boden unter den Füßen verlor. Erneut lief ein Schock durch seinen Körper und er spürte einen brennenden Schmerz, der sein gesamtes Nervenkostüm entlangfuhr. Er konnte nicht einmal mehr benennen, wo es weh tat. Es brannte schlichtweg alles. Im nächsten Moment entdeckte er Rolands Schuh, mit Fuß darin, der friedlich davon schwebte. Die kleinen roten Blutpartikel strömten heraus wie Luftbläschen und verteilten sich sporengleich im Wind. Heiko wurde bei dem Anblick noch schlechter. Er verzog gequält das Gesicht, als er ein Reißen in seiner Brust wahrnahm.
Hektisch atmend und unter schwerster Anstrengung hob er den Arm, um auf seinen Scanner zu blicken. Die Quelle der Anomalie lag nicht mehr ein Stück vor dem Wagen, bei dem gigantischen Baum. Laut der Anzeige auf dem Gerät, stand sie jetzt direkt vor ihm. Heiko wurde ihn diesem Moment klar, dass die Quelle der Strahlung ein blaues Kleid und weiße Turnschuhe trug. Und sie war gerade dabei, seinen Körper in seine kleinsten Bestandteile zu zerreißen.
ENDE
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