Kurzgeschichte #014 | Jeffield

»Komm nach Jeffield« haben sie gesagt.

»Da kannst du ne ruhige Kugel schieben« haben sie gesagt.

»Gutes Geld für im Kreis laufen und mit dem Knüppel an Gitterstäbe klopfen« haben sie gesagt.

Die Worte seiner Kameraden liefen wie das Skript eines absurd schlechten Comedy Programms hinter seinen Schläfen ab. Polizei-Wachmannschaftler Gerry Steins Hände zitterten, während er versuchte die Sicherung seines AS22 Gewehres zu lösen. Ohrenbetäubender Lärm überschattete die abendliche Szenerie auf dem Gelände des Kerkertrakts West und machte es ihm beinahe unmöglich sich auf seine Handgriffe zu konzentrieren.

Sie hatten nicht einmal mehr die Zeit gehabt, einen Schießbefehl zu erhalten. Jener, der ihn vor Ort erteilen durfte, lag in mehrere Teile zerrissen auf dem grauen Asphalt. Innerhalb von Sekunden war die Kreatur aufgetaucht, hatte den Offizier mit seinen wuchernden Extremitäten gepackt und wie Papierschnitzel in der Luft verteilt.

Gerrys bleischwere Arme hoben das Gewehr wie in Zeitlupe. Er drückte ab. Einmal, zweimal. Die Kugeln surrten auf das Monstrum zu, bohrten sich in seine Haut, und verursachten nicht mehr als ein kurzes Muskelzucken. Wie wild geworden schlug der Koloss mit den weiter abnorm wachsenden Pranken auf seine Umgebung ein. Ein Mannschaftsfahrzeug ging in Flammen auf und polterte über die Straßen, versperrte kurz das Schussfeld. Das Wesen sprang darüber und lief weiter, zielgerichtet auf den Zellentrakt zu…der hinter Gerry lag.

Immer häufiger erschallten Gewehrsalven, doch auf eine solche Bedrohung war Jeffield nicht ausgelegt. Die schweren Geschütze mussten erst bemannt werden, Freigaben mussten erteilt werden. Bürokratie, die Leben kostete.

»Was bei allen Sonnen ist das?«, flehte Gerry und wich einige Schritte zurück, versuchte Abstand zwischen sich und das Wesen zu bekommen.

»Kultistenabschaum, transmutiert«, brummte eine sonore Stimme hinter ihm. Schweres Klicken von Metall erklang, eine Sicherung wurde gelöst. Reflexartig drehte Gerry sich um und blickte in das Antlitz eines gerüsteten Soldaten. Phalanx.

Die Insignie der Elitetruppen prangte auf der schweren Schulterplatte des Mannes, auf dem Kopf saß ein Vollhelm mit verspiegeltem Visier. Gelbliches Licht des Feuerscheins wurde davon zurückgeworfen. Gerrys Blick viel auf das Stahlrohr in seiner Hand. Ein kurzes Drehen, ein Klicken und es verband sich mit einem Korpus, der dem eines Gewehres ähnelte. Einige Schläuche führten auf seinen Rücken und mündeten in einen silbernen Kanister. Ein Flammenwerfer. Mit der Linken griff der Soldat den Haltegriff mit dem Auslöser, das Rohr legte sich wie eine verlängerte Gliedmaße an seinen Unterarm. Schellen klackten, als es in den Armschienen einrastete.

Doch am auffälligsten war, weil es so fehl am Platz wirkte, die filigrane goldene Kette, die unter der Halsrüstung herausragte und deren Anhänger sich geruhsam auf der gepanzerten Brust des Phalanx Soldaten hielt. Ein goldenes Kreuz.

»Sir, wir haben keine Ahnung, woher dieses Monster kam«, krächzte Gerry panisch.

Der Hüne legte ihm in einer ruhigen Bewegung die Hand auf die Schulter.

»Wo immer es herkam, ich weiß, wohin es gleich gehen wird.« Mit der Rechten zog er das schwere Schwert aus dem Gürtelhalfter und schritt voran.

Ungläubig starrte Gerry ihm hinterher und senkte das Gewehr. In dieser Schlacht würde er keinen Beitrag leisten können.

ENDE

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