»Du ölblutiger, hirnverschraubter Klobdübel!«
Fynn ließ den nicht enden wollenden Schwall aus Flüchen mit gezückter Augenbraue über sich ergehen. Er verstand die Problematik an der Sache nicht zur Gänze. Ja, natürlich wäre es gut gewesen, wenn die Pistolen, die er besorgt hatte, über eine Sicherung verfügten. Aber diese hatten nun einmal keine. Für ihn stellte das keinen Weltuntergang dar.
»Bist du dann fertig, Deez?« Fynn legte den Kopf schräg, wodurch seine wuscheligen halblangen Haare auf dem Kopf leicht herabfielen. Unter seiner orangenen Lederjacke hoben sich die Schultern durch sein Achselzucken.
»Dann haben sie halt keine Sicherungen. Dafür waren sie billiger, und das Bier, dass ich dadurch zusätzlich kaufen konnte, hat euch schließlich auch geschmeckt.«
Wie zur Bestätigung rülpste Kamil im Hintergrund und lachte. Der massige muskulöse Körper des Kleinkriminellen lag auf einem Sofa, gekleidet in ein Unterhemd, eine grüne Cargo-Hose und schwarze Stiefel. Er kratzte sich mit den dicken Fingern über die Glatze.
»Entspann dich, Boss. Hauptsache sie knallen ordentlich«, grunzte er.
»Und wie sie knallen«, schob Fynn sofort strahlend hinterher. »Damit kannst du einem Pekko auf zwanzig Meter die Schaltkreise zerdonnern!«
»Haltet doch endlich die Schnauze!« Deez wirkte nun wirklich erbost. Er hatte eine Art leitende Funktion in ihrer kleinen Gruppe und den heutigen Coup seit Wochen geplant.
»Unser Auftrag ist es, in das Revier ungehört einzubrechen, den Datenstick zu klauen, und ungesehen wieder zu verschwinden! Die Knarren sind zwar nur für den Notfall, aber der Plan funktioniert nicht, wenn sich unsere scheiß ungesicherten Pistolen mitten im Einsatz von selbst auslösen!« Er machte mit den Händen eine Geste, die vermutlich einen Knall darstellen sollte.
»Das ist doch kein Problem, Deez! Einfach geschmeidig laufen, nicht zu doll schütteln, und die Griffel immer lockerlassen.« Fynn antwortete auf seine gewohnt lässige Art und zappelte dabei mit allen zehn Fingern.
»Ihr seid komplett gestört.« Der hagere Deez schüttelte ungläubig den Kopf. »Das wird eine Katastrophe.«
Er bekam als Antwort nur das Zischen einer weiteren Dose. Kamil hatte noch immer Durst.
Die Straßen von Yahul-12 waren geschäftig wie immer. Möglichst unauffällig marschierte die kleine Gruppe durch den tiefsten Slum der Gegend, wenngleich ihnen bewusst war, dass sich hier niemand für sie interessierte. Links und rechts von ihnen türmten sich unter grellem Neonlicht allerhand Gebäude auf, die wahlweise Geschäfte, Dienstleister, Wohnungen, oder schlicht Abfall beherbergten. Die Häuser waren behelfsmäßige Absteigen, grob aus Metallresten zusammengeschweißt, oder verbunden durch giftige Klebstoffe. Willkürlich ragten Masten aus der Fassade, die Kabel von A nach B leiteten. Vereinzelt hing Wäsche und sonstige Fetzen daran, während andere gekappt ins Nirgendwo hingen. Der Blick nach oben lohnte sich nur beim ersten Besuch in den Slums, wenn man die konzerngeführten Wolkenkratzer bestaunen wollte, die sich wie gigantische Obelisken aus der Szenerie schoben, und drohend auf die Gassen herabblickten.
Wer länger hier wohnte, der wusste, dass von dort nichts außer Ärger kam. Die Menschen in Yahul-12, dem zwölften Distrikt der Arbeiterstadt Yahul, hatten genug unter der Ausbeutung zu leiden. Über siebzig Prozent der Menschen waren arbeitslos, und die, die nicht zu krank waren, die wurden zwangsweise auf die ein oder andere Art straffällig. Verlässliche Zahlen gab es dazu allerdings nicht. Es war eher eine grobe Schätzung, die meist nur durch den Satz „Hier sind doch eh fast alle kriminell“ untermauert wurde. Die Slums von Yahul wurden dominiert von Gangs und Banden aus verschiedensten Ethnien. Zusammengewürfelt und mit den unterschiedlichsten Interessen, kämpften sie um die Vorherrschaft in dieser verwinkelten, undurchsichtigen Arena. In dieser Gegend wurde definitiv öfter gemordet, als gebadet.
Fynn lachte in sich hinein, während sie sich weiter durch die von LED-Licht bestrahlten Menschenmassen schoben. Er war in diesem Loch geboren, aufgewachsen, und hatte noch nie etwas anderes gesehen. Es war kein einfaches Leben, aber wenn man die Ansprüche nicht zu hoch setzte, und nicht alles zu ernst nahm, dann kam man einigermaßen gut durch. Außerdem hatten ihn sein schneller Geist und sein Improvisationstalent schon oft gerettet. Er küsste den Ring um seinen Zeigefinger, ein grobes Stück aus Metall, umschlungen von dünnen Kabeln, eine Art Glücksbringer.
»Die dritte Gasse nach rechts ist unsere«, flüsterte Deez gerade laut genug, dass die beiden anderen ihn hören konnten. An besagter Ecke stand ein stählerner Pfahl mit einem angeschraubten Blechschild. Great Oz stand darauf und benannte damit den Schrauberladen eines alten Bekannten der Gruppe.
Sie Bogen um die Kurve und standen direkt vor der übertrieben stark beleuchteten Reklame der rostigen Bude. Durch einen Vorhang, der ausschließlich aus herabhängenden alten Kabeln bestand, betraten sie den gelb leuchtenden Raum. Ringsherum waren Tische mit unterschiedlichsten Komponenten und alten Bauteilen ausgestellt. Es roch nach Öl, Rost und Schweiß. Den Mittelpunkt der kleinen Halle stellte ein Verkaufstresen mit rustikaler Kasse und mehreren elektrischen Reklametafeln dar. Fynn las die Aufschrift des heutigen Angebots.
2x Top-Teile – 1x Schrott gratis.
Verlockend, dachte er stumm.
»Oz! Wir sind da«, rief Deez ins Leere. Keine zwei Sekunden später rumpelte es hinten, und ein klein gewachsener Mann mit korpulenter Figur schob sich in den Verkaufsraum. Great Oz war nicht halb so groß, wie sein Ladenname vermuten ließ. Er ging Fynn maximal bis zum Bauchnabel. Unter Ächzen erklomm er eine kleine Trittleiter hinter dem Tresen und fand sich schließlich fast auf Augenhöhe mit seinen Gästen wieder.
»Meine Freunde! Was kann ich für euch tun? Braucht ihr ein paar Toadies? Sind gut für die Durchblutung, wenn du weißt, was ich meine?« Er zwinkerte schelmisch zu Kamil und zeigte mit dem Finger auf seine Lendengegend.
»Schnauze, Oz. Du weißt, warum wir da sind.« Deez hatte keine Lust auf Oz‘ Spielereien.
»Jaja, schon gut. Alte Stinkschraube«, nuschelte er in seinen fleckigen Bart. »Der Zugang ist kein Problem, aber leider ist der Preis gestiegen. Sorry, die Inflation.« Er machte eine entschuldigende Geste, durch die sofort klar wurde, dass er Geschäfte witterte.
»Verarsch uns nicht, Oz«, brummte Kamil und zog die neue Knarre unter der Jacke hervor. Oz bekam große Augen und blickte die Gruppe ungläubig an.
»Kamil, steck das Ding weg! Denk an die Sicherung!« Schnauzte Deez.
»Was für ne Sicherung?« Der kleine Händler begann zu schwitzen und starrte auf den Lauf der Waffe, während der muskulöse Mann mit der Pistole zu lachen begann.
»Nur ein Spaß. Mach dir nicht in die Latzhose, Oz«, lachte Kamil, zuckte aber zusammen, als er den todbringenden Blick von Deez wahrnahm.
»Sorry, das wollte ich schon immer mal machen«, grummelte er entschuldigend.
»Ihr drei seid komplett gestört! Erwähnt ja niemals meinen Namen, wenn man euch erwischt!« Oz kletterte seine Trittleiter hinunter, winkte die Gruppe mit sich und verschwand nach hinten. Fynn spähte neugierig durch die dunklen Ecken des Gebäudes, aber außer Ramsch und unmöglich zu identifizierenden Elektronikkomponenten konnte er nichts entdecken. Der feiste Händler stoppte bei einer Kiste, die er mühsam zur Seite schob. Darunter kam eine quadratische Luke aus Metall, mit rostigem Griff zum Vorschein.
»Viel Spaß da unten. Die alte Kanalisation stinkt wie meine Lieblingshose, ist aber der direkteste Weg. Zweihundert Meter geradeaus, dann links, dann nochmal links und dann nur dem Brummen der Generatoren folgen. Könnt nichtmal ihr Pfeifen verfehlen. Und jetzt verschwindet aus meinem Laden!« Die Gruppe bedankte sich mit einem knappen Nicken und machten sich daran die metallene Leiter hinabzusteigen, die mehrere Meter ins Ungewisse führte. Erst Fynn, dann Deez, dann Kamil.
Der schlanke Fynn machte seine Taschenlampe an und leuchtete die Gänge aus. Oz hatte recht. Hier stank es selbst für die Verhältnisse des Slums enorm. Durch das Klackern der Stiefel vernahm er, dass Deez, und kurz darauf Kamil angekommen waren. So leise wie möglich schlichen sie durch die alten Gänge der Anlage, was durch die hallende Akustik ein schwieriges Unterfangen war.
Die Gruppe folgte der Wegbeschreibung des Händlers und kam an einer stählernen Tür an, die durch einen schweren Holzbalken gesichert war. Mit ein wenig Mühe zogen sie ihn aus der metallenen Verankerung und öffneten sie mit erstaunlich wenig Geräuschen.
»Läuft doch super«, grinste Fynn nach hinten, woraufhin Deez nur die Augen verdrehte. Der Korridor, in dem sie nun angekommen waren, wurde durch orangefarbene Neonröhren beleuchtet und sie konnten nun deutlich das beschriebene Brummen vernehmen. Hier unten wurden offenbar schwere Maschinen betrieben. Sie schlichen noch einige Zeit weiter, bis sie die ersten Anzeichen von Leben wahrnahmen. Ein Tisch mit Karten darauf, leere Getränkedosen und dreckige Tücher.
»Passt jetzt gut auf. Hier könnten überall Leute unterwegs sein.« Deez zog mit vorsichtigen Fingern die Pistole aus dem Gürtelholster und hätte fast abgedrückt. Ein irrsinnig lauter Knall ertönte hinter ihnen, gefolgt von Kamils aufheulenden Schmerzensschreien. Fynn eilte zu ihm und versucht an seinem Boss vorbeizuschauen, der sich bereits zu ihrem liegenden Kameraden herabgebeugt hatte.
»Scheiße, was ist passiert?« Fluchte er so leise es ging.
»Der Idiot hat sich selbst in den Fuß geschossen«, gab Deez knurrend zurück, während Kamil weiter stöhnte und sich wand wie ein sterbendes Tier. »Nur wegen deiner bescheuerten Spar-Knarren!«
Fynn setzte an sich zu verteidigen, wurde aber von den Stimmen und dem Getrappel schneller Stiefelschritte zurückgehalten. Sie waren bemerkt worden.
»Verdammt, was machen wir jetzt?« Jammerte Kamil. Seine Pistole lag neben ihm auf dem Boden. Fynn hob sie auf, und zog zusätzlich seine eigene aus der Jacke.
»Plan B.« Er grinste, und war froh, dass er nichts entsichern musste. Er hätte sowieso nicht gewusst, wie das geht.
ENDE
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