Kurzgeschichte #007 | Die Sturmgebundene

DIE STURMGEBUNDENE

Ho, Wanderer, Ihr seid wach? Welch Freude! Habt ihr noch Platz im Bauch für einen wärmenden Krug und eine weitere Geschichte?

Sehr gut, dachte ich’s mir doch. Setzt euch!

Beschwert Ihr euch innerlich über euer Nachtlager, hier am Feuer? Harter Boden, garstige Decken und der Gaul stinkt bis nach Haldrisdal. Jaja, ich weiß.

Aber ihr habt noch nicht von Maren, der Sturmgebundenen, gehört! Nicht wahr?

Das Mädchen hatte einen schweren Start in dieses unglücksgebeutelte Dasein. Ihr Vater war ein Fischer, ein Schläger und ein Taugenichts, die Mutter eine Salzerin mit Wehmut und Trauer im Herzen. Beides einfache und gläubige Leute, doch ebenso arm im Geiste wie in der Geldbörse. Gemeinsam bewohnten sie einen alten Turm, in einem Dorf an der Nordküste.

Als der Fischersmann älter, und seines Zechens Freude wegen ungeschickter wurde, da brauchte er Hilfe auf dem Kahn.

So nahm er seine Tochter mit. Die tapfere Maren hatte noch keine zwölf Winter gesehen, und war doch stets bereit, alles für ihre Familie zu tun.

Als sie das erste Mal rausfuhren, zog ein Sturm auf, obgleich der Himmel zuvor nichts dergleichen verhieß. Die Wellen rissen und schaukelten an dem Kahn, während die beiden sich an der maroden Reling festklammerten. Das Schluchzen und Weinen wurde vom rauschenden Ozean verschluckt, und drang an keiner Seele Ohr.

Doch es war nicht Maren, die heulte wie ein Säugling, nein.

Es war ihr Vater, der Nichtsnutz.

Er flehte und bettelte, jammerte und schwor.

Er schrie den Göttern des Sturms zu, sie können haben, was immer sie wollen, solange sie ihn nur sicher heimkehren lassen. In seinem Wahn, da griff er die schmalen Schultern des Mädchens, packte sie hoch nach oben, und flehte um Gnade.

Der Narr feilschte mit den Höheren um sein Leben, bot seine brave Tochter als Pfand, und warf sie in die Fluten.

Maren, der Situation ungläubig ausgeliefert, erspähte noch im Flug den wahnsinnigen Blick ihres Vaters, bevor sie in die Wogen eintauchte, und versank.

Was dann geschah? Der Sturm ließ nach! Der Taugenichts überlebte, kehrte nach Hause zurück und erzählte eine Mär von Wogen und Fluten, welche das Mädchen von Deck rissen.

Gleichwohl versperrte er sich selbst vor dem, was seiner Tochter widerfuhr. Die Fluten nahmen Maren dankbar auf, wie das liebevolle Kind, das sie war. Wie sie es verdient hatte. Sie umwogen es gnädig, ließen es tiefer tauchen, in die wohlige Geborgenheit der eisigen See. Und sie gaben Maren das Versprechen, dass nichts und nochmal nichts auf dieser schändlichen Welt umsonst blieb.

Eines Nachmittags, viele Monde später, am räudigen Turm des Vaters, zog erneut ein Sturm auf. Der Tunichtgut hob den Kopf und spähte in die Fluten, doch er sah nichts, außer die tosenden Bewegungen des Ozeans. Es war der Wind, der seine Aufmerksamkeit holte.

Die Brise wurde stärker, türmte sich auf, als wolle sie den Kontinent entzweien. Und war dann ebenso schnell verschwunden. Nichts war geschehen. Alles blieb an Ort und Stelle. Alle Bewohner, samt der Eltern der kleinen Maren, waren unversehrt. Sie blieben unversehrt, damit sie erfahren konnten, was dann geschah.

Der Wind blies erneut, und dieses Mal, wisperte er Worte. Erst leise, dann deutlich, dann drohend! Eine kalte Melodie schwappte aus den Fluten herüber, und brannte sich in die Ohren des Fischers.

 

»Sturm und Bein.

Brack und Tief,

des Meeres Maul.

Lungen schwer

Und Rippen bersten

Das Herz brennt loh

Der Kiefer malmt

Wogend Pein

Und berstend Bein

Reißt entzwei

Was einig war.«

 

Der Vater kannte die Worte und riss jäh die Augen auf, als er die Seemannshymne vernahm. Ein altes Lied, lang vererbt, gab es nur noch zwei Menschen, die es kannten. Seine Frau, und er selbst. Und einst seine Tochter. Maren.

Der alte Fischer fiel auf die Knie. Seine Finger gruben sich in den nassen Sand des Bodens, während sein Blick den Bewegungen der kleinen Füße folgte.

Marens kleine Füße, die sich langsam aus der See wühlten, unablässig auf ihn zuschritten.

Er wagte es nicht ihren kalten Blick zu erwidern, während seine Lippen vor Verzweiflung bebten und zuckten.

Die Gebete und das Flehen, damals auf dem Ozean, waren zwar erhört worden. Doch nun wurde ihm klar, dass er nicht Marens Leben dem Sturm geopfert hatte, um sich zu retten.

Der Sturm hatte seine Tochter gerettet.

Vor ihm.

 

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