Kurzgeschichte #004 | Der Quell

DER QUELL

Velar Greez stand knietief im stickigen Morast der Östlichen Knochenlande. Einst war dieses Gebiet grün und lebendig, doch dies war bereits so lange her, dass er sich kaum noch daran erinnern konnte. Damals war er selbst noch ein junger Bursche, fühlte sich motiviert und zu Höherem berufen.

Heute war er nur ein weiterer Schlächter, der Jünglinge in den Tod führte, Mission für Mission. Dieser düstere Tag war nicht anders als die tausend zuvor. Die angrenzende Grafschaft zahlte gutes Geld, damit sich Greez‘ Söldnergruppe um das Problem der Seuche kümmerte. Bisher mit fraglichem Erfolg. Doch wenigstens hatte sie sich nicht weiter ausgebreitet.

Sie marschierten stets nur in kleinen Gruppen in den Sumpf, denn für eine Armee war das Gelände zu unwegsam. Velar hatte schon etliche Krieger an die teuflischen Wasser verloren. Dies war kein Ort für gerüstete Soldaten, kein Ort für Männer und Frauen mit edlen Absichten. Hier herrschte der Tod, und wer nicht bereit war ihm gegenüberzutreten, der sollte besser fernbleiben. Vermutlich war es nur eine Frage der Zeit, bis auch er für immer im Morast verblieb. Aber bis es so weit war, würde Greez einen Teufel tun und aufgeben. Zu viele seiner Kameraden und Freunde hatte der Sumpf verschluckt. Es durfte nicht sinnlos gewesen sein. Nicht selten wurde ihm eine krankhafte Obsession unterstellt. Worte, die an Velars innerer Rüstung abprallten wie Hagelkörner. Er spuckte bei dem Gedanken verächtlich aus.

Erst vor wenigen Stunden waren sie erneut losgezogen, in die tiefen Schatten des einstigen Königreichs. Mit jedem Schritt schluckte das trostlose Land mehr Licht und schließlich war ohne Fackeln kein Weiterkommen mehr denkbar. Insgeheim fragte sich Velar, wie viele Menschenleben er den Knochenlanden noch zum Fraß vorwerfen musste, bevor sie den Quell der Verderbnis fanden. Begleitet wurde er von zwei Aspiranten, die seit einigen Monaten bei ihm in der Ausbildung standen, Berthred und Kain. Einen dritten hatten sie bereits nach wenigen Minuten verloren. Die auferstandenen Skelette der einstigen Einwohner und ehemaligen Söldner hatten sich auf ihn gestürzt, unter Wasser gezogen und für immer verschluckt.

Der Schreck steckte den beiden Begleitern noch immer in der Kehle fest. Sie schnürten ihre Rüstungen enger und hielten zitternd die Schwerter vor sich. Greez hingegen trug inzwischen so gut wie gar keine Rüstung mehr, denn er wusste, dass ein guter Treffer der Knochenteufel den menschlichen Leib zerfetzen konnte. Da half kein irdisch geschmiedeter Stahl.Mit einem Handzeichen gebot Velar den beiden stehen zu bleiben, und lauschte in die Dunkelheit des Morasts. Der dünne Kain zitterte so stark, dass Greez das vibrierende Wasser hören konnte. Im Hintergrund vernahm er das immer präsente Schaben des Morasts. Knochen, die sich über den Boden schliffen, schartige verrostete Schwerter, die über Ranken und Steine kratzten. Es war überall. Und es wurde lauter.

   »Sie kommen«, flüsterte er wie im Gebet und zog seine massive Waffe vom Rücken. Das grobe Schwert mit dem langen gewundenen Griff hatte den Namen Knochensäge erhalten, und machte ihm alle Ehre. Unzählige Diener des Todes hatte Greez damit zerteilt, zerschmettert und zurück in die Hölle geschickt, aus der sie kamen. Die Scharten auf der Klinge erzählten tausende Geschichten, und er war bereit, mit dem heutigen Tag, eine weitere hinzuzufügen.

Vor ihnen teilte sich der morastige Wald und erstrahlte in bläulichem Licht. Velar war verwundert, wusste aber instinktiv, dass dies nicht der Mond sein konnte. Für das Mondlicht gab es keinen Weg durch die überwucherte Decke des Sumpfes. Er hatte etwas gefunden, endlich. Das Scharren der Knochen wurde lauter und penetranter, summierte sich zu einem kratzigen Kanon und übertönte schließlich sogar das Plätschern des Wassers unter ihren Füßen. Greez hatte das Gefühl, dass der Boden zu vibrieren begann und straffte seinen Griff um das Schwert. Die Fackel in der linken hielt er hoch erhoben und beleuchtete damit das Grauen, dass sich vor ihnen aufbaute. Kein normaler Knochenteufel, wie er sie kannte.

Was sich vor ihm unter diabolischem Krachen und Knirschen zusammensetzte, war Albträumen entsprungen, und es wuchs und wuchs weiter. Sehnen und Knochen, Stoff und Klingen verbanden sich zu einem unheiligen Konglomerat des Todes.

Das Nächste, was er hörte, waren die panischen Rufe und platschenden Stiefeltritte seiner Kameraden. Sie hatten die Waffen fallengelassen und liefen davon, ob der Abscheulichkeit, die sich ihnen zeigte. Greez lächelte unter seinem Helm aus Leder. Er konnte es ihnen nicht übelnehmen. Und gleichzeitig freute er sich, denn die Kreatur, die ihm unter ächzenden Bewegungen den Weg versperrte, war aus einem Grund hier. Und dieser Grund konnte nichts anderes bedeuten, als dass er endlich am Ziel war. Velars Herz machte einen freudigen Sprung und zu gerne hätte er der Bestie sein Lachen gezeigt. Denn es war endlich so weit. Entweder würde er den Quell der Seuche finden und vernichten oder selbst ein Teil des teuflischen Sumpfes werden. Beides war für ihn, nach all der Zeit, in Ordnung.

Danke, dass Du diese Geschichte gelesen hast! <3

Ich würde mich sehr freuen, wenn Du mir ein Feedback gibst, wie sie Dir gefallen hat!