Kurzgeschichte #003 | Der Vertrag

DER VERTRAG

Elisa Rose konnte nicht glauben, dass sie das wirklich tat. Mit ihren sechsundzwanzig Jahren war sie längst kein Kind mehr, und hatte auch genug Erfahrungen gesammelt, um nicht mehr blind auf Männer hereinzufallen. Sie konnte gut einschätzen, wer ihr wohlgesonnen, und wer nur auf den eigenen Vorteil aus war. Vermutlich war das der Grund, warum sie Frank so sehr vertraute, obwohl sie ihn erst an diesem Abend kennengelernt hatte.

 

Aufgrund eines guten ersten Halbjahres hatte der Chef ihrer Anwaltskanzlei einen Abend auf Kosten der Firma springen lassen. Elisa war dort als Assistenz des renommierten Strafverteidiger Jordan Helms beschäftigt. Der adrette Mittfünfziger war für seine überdurchschnittlich hohe Quote gewonnener Prozesse vor Gericht bekannt, was die Arbeit für die junge Frau dort nicht leicht machte, ihr aber ein sicheres Beschäftigungsverhältnis einbrachte. Es gab einfach immer viel zu viel zu tun. Wenngleich ihr bewusst war, dass Helms regelmäßig Schwerkriminelle ihrer gerechten Strafe entzog, so nahm sie es doch in Kauf, denn sie brauchte das Geld, sehr dringend. Und auch wenn man Jordan Helms durchaus als gewissenlos bezeichnen konnte, geizig war er nicht.

Der Firmenabend fand in einer lauschigen Bar, inmitten der geschäftigen Gegend von Tearbrooks statt. Der Stadtteil war für Beton und Industrie bekannt, wodurch das ‚Corner‘ wie ein kleiner Lichtblick inmitten trister Alltäglichkeit wirkte. Die Bar war in die Überreste eines alten baufälligen Hauses platziert worden, und teilte sich in zwei Bereiche auf. Innen und außen. Nach den notwendigen Sanierungsmaßnahmen herrschte drinnen beschauliches Retro-Flair. Die absichtlich unverputzten Mauern, in Kombination mit den massiven hölzernen Dachbalken und einer Kombination von Postern berühmter Musiker, machten aus diesem Ort etwas ganz besonders. Neben dem seriösen schwarz-weißen Porträt eines jungen John Lennon, hing ein grell bunter David Bowie. Daneben zeigte Johnny Cash seinen berühmten Mittelfinger in die Kamera und wieder daneben ein lachender Marvin Gaye. Die Aufzählung scheinbar willkürlich gewählter Plakate hätte noch ewig weiter gehen können.

Der Außenbereich des Corner war stilistisch wieder völlig anders interpretiert. Palmen, künstliche und echte, schmiegten sich an rustikale Holzbänke und wurden von LED-Lichtern aller Farben beleuchtet. Das grelle Licht der Lampen breitete sich aus und wurde von den umliegenden meterhohen Betonwänden zurückgeworfen. Doch das Highlight des Corner war genau dieser eine Blickwinkel, aus dem man durch die turmhohen Gebäude hindurch den strahlenden Sternenhimmel sehen konnte. Es war, als würde man durch einen lichtgefluteten, bunten Tunnel hindurch, direkt ins All blicken. Und genau an diesem Platz hatte Elisa mit ihren Kolleginnen gesessen. Es war ein gemütlicher Abend, voller Lachen, Gespräche und immer häufiger auftretenden Blicken hinüber zum Nachbartisch.

 

Nachdem sich die meisten der Gäste auf den Heimweg gemacht hatten, war er zu Elisa an den Tisch herübergekommen. Zurückhaltend, freundlich, aber keineswegs unsicher. Frank hatte sie direkt angesprochen, sie auf ein Getränk eingeladen, und sie war gerne darauf eingegangen. Sein Alter konnte sie schlecht schätzen, tippte aber auf Ende Zwanzig, ein wenig älter als sie selbst. Optisch war er auf den ersten Blick nicht ihr Typ, glatt rasiert mit seitlich ausrasiertem lockigem Haar. Es war seine Art, die sie so in ihren Bann zog. Seit sie sich vorgestellt hatten, waren sie so sehr in Gespräche vertieft, dass keine Zeit für unangenehme Stille blieb. Und sie hatten gelacht. Viel gelacht. So gemütlich der Abend mit ihren Kolleginnen auch gewesen war, das hier hatte sie viel mehr gebraucht. Seitdem ihre Mutter gestorben war und ihr Vater aufgrund seiner Demenz im Pflegeheim untergebracht werden musste, kämpfte sie sich mit ihrer jüngeren Schwester Sophie allein durch. Während Freunde aus ihrer Schulzeit das Leben in vollen Zügen genossen, feierten und reisten, war sie gezwungen gewesen schnell erwachsen zu werden.

Auch wenn sie regelmäßig beteuert bekam, wie sehr ihre Bekannten es bedauerten, verstand doch niemand was wirklich dahintersteckte, wenn man das Pflegeheim des Vaters finanzieren musste, die Beerdigung der eigenen Mutter allein organisierte, und versuchte der pubertierenden, schwer trauernden Schwester ein klein wenig Halt zu geben. Und dass alles während man keine Woche weniger als fünfzig Stunden arbeitete.

So sehr sie sich auch auf Sophie zuhause freute, der Abend mit Frank gab ihrem Leben einen kleinen Lichtblick. Er entführte sie aus ihrer Tristesse und gab ihr das Gefühl, dass alles gut werden konnte.

Vermutlich war das auch der Grund, warum sie zugestimmt hatte, als er sie einlud, ihr einen ganz besonderen Ort außerhalb der Stadt zu zeigen. Er hatte ihr versichert, dass es keinen schöneren Blick auf den Sternenhimmel gab und sie auch nie wieder einen besseren finden würde. Das Gebiet läge in einem kleinen Wald, mit einem See und einer Blockhütte, die seinem Onkel gehörte.

Elisa konnte nicht anders, als an einen dieser Teeny-Horrorfilme zu denken, in denen sich unbeschwerte Jugendliche leichtsinnig in dunkle Wälder begaben und dann von einem verrückten Massenmörder gejagt wurden. Doch sie musste lachen, denn genau in diesem Moment hatte Frank das gleiche ausgesprochen.

   »Tut mir leid, das muss völlig verrückt für dich klingen. Wie in einem dieser schlechten Horrorfilme. Ich bin dir nicht böse, wenn du absagst.« Er lachte entschuldigend und zeigte dabei erneut sein lockeres Gemüt, das Elisa so gut gefiel.

   »Nein«, sagte sie dann nach einem kurzen Moment und lächelte. »Ich würde es gerne sehen. Aber wenn du mich umbringst, bin ich dir verdammt böse.« Sie blickte ihn gespielt wütend an und legte die Stirn in Falten.

Frank lachte und legte die Hand zum Schwur flach auf die Brust.

   »Ehrenwort. Mord steht nicht auf meiner heutigen To-Do Liste.« Nach einem kurzen Zögern setzte er nach. »Nicht, dass das sonst darauf stünde.« Und wieder hatte sie herzlich gelacht.

 

Jetzt saßen sie in Elisas altem Jeep, den sie von ihrem Vater vererbt bekommen hatte, nachdem sich herausgestellt hatte, dass er nie wieder fahren dürfte. Das Gefährt war rostig, verbeult und alles andere als sexy. Für die Waldwege, die Frank ihr beschrieb zu fahren, aber genau perfekt. Er dirigierte sie von den großen Straßen herunter, auf kleinere Wege und schließlich holperten sie über Wurzeln hinweg, bis es nicht mehr weiter ging. Sie waren an einer kleinen Lichtung angekommen, leicht bewachsen und gerade groß genug, um das Auto wieder wenden zu können. Elisa war immer noch nervös, doch etwas in Franks Art gab ihr Sicherheit. Sie konnte es nicht genau benennen, es war mehr eine wohlige Wärme als ein greifbares Gefühl. Außerdem konnte sie sich nicht vorstellen, dass ein verrückter Mörder sich einen Namen wie Frank gab. Der Name war viel zu untypisch für einen Mann in seinem Alter. Außerdem hatte er sie kein bisschen bedrängt, sie konnte zu jedem Zeitpunkt ablehnen.

Bis jetzt, wurde ihr bewusst. Jetzt war sie irgendwo im Nirgendwo, es war stockfinster und sie verließ sich zu hundert Prozent auf einen Wildfremden. Wenn ihr Vater davon wüsste, würde er ihr eine Standpauke halten, bis ihr die Ohren klingelten. Sie seufzte innerlich und schüttelte die Gedanken weg. Ihr Vater würde sie nicht einmal erkennen, wenn sie ihm jetzt über den Weg lief. Elisa verließ den Wagen und schloss die Tür.

   »Ab hier müssen wir noch kurz zu Fuß gehen. Ich hoffe das ist ok. Ich kann dich auch tragen«, bot Frank lächelnd an.

   »Keine Sorge, ich bin keine Barbie. «

Es dauerte mehrere Minuten, auch wenn es glücklicherweise einen gut ausgetretenen und von Ästen befreiten Trampelpfad gab, der ihnen den Weg wies. Alle paar Meter war eine kleine Markierung aufgestellt, hölzerne Pflöcke, die mit roter Farbe besprüht wurden. Selbst durch das dichte Geäst konnte man sie gut sehen, was die Gefahr sich zu verlaufen drastisch reduzierte. Nach wenigen weiteren Minuten kamen sie an der Blockhütte an. Trotz des offensichtlichen Alters war sie in einem guten Zustand und versprach gemütliche Abende. Der helle Mond des Abends gab einen Vorgeschmack auf die Schönheit dieses Ortes. Vor der rustikalen hölzernen Unterkunft lag ein kreisrunder Platz mit einer gemauerten Feuerstelle und Sitzbänken aus Steinen. Dahinter lag der See. Und Elisa glaubte ihren Augen nicht trauen zu können. Frank hatte nicht gelogen, es war einer der schönsten Anblicke, die sie je erleben durfte. Er war nicht all zu groß, dicht bewachsen, von unterschiedlichsten Bäumen eingeschlossen und geformt wie ein nahezu perfekter Kreis. Der laue Abendwind versetzte die Wasseroberfläche in Bewegung was zu einem permanenten Funkeln und Glitzern führte.

   »Habe ich zu viel versprochen?« Frank stand neben ihr, doch Elisa konnte ihren Blick nicht vom Wasser lösen.

   »Es ist…unglaublich.«

   »Ich mache uns ein Feuer, langsam wird es doch kalt.«

Frank hatte recht, der warme Sommerabend kühlte ab und sie spürte das Frösteln bereits.

Während er zur Feuerstelle ging, blickte sie erneut auf das wunderschöne Schauspiel des Gewässers. Langsamen Schrittes wanderte sie auf dem Gelände umher und begutachtete, mit welcher Sorgfalt alles bearbeitet worden war. Franks Onkel musste hier unfassbar viele Stunden verbracht haben, um alles so perfekt herzurichten. Ihr Blick fiel auf eine zweite Lücke im Gestrüpp. Es sah aus wie ein weiterer Weg, der vom Winkel her zum See hinab führen könnte.

   »Wo geht’s hier hin?« Frage Elisa.

   »Ein bisschen tiefer in den Wald hinein, ein echt schönes Fleckchen mit großen Bäumen. Mein Onkel hat dort früher gejagt. Inzwischen gibt es hier aber so gut wie keine Tiere mehr. Du darfst dich gerne umschauen, während ich mich ums Feuer kümmere.«

   »Kann man sich leicht verlaufen?«

   »Wenn du dich an die Markierungen hältst, nicht. Zur Not rufst du, dann komme ich dich retten.« Er zeigte seine helle Zahnreihe und lachte. »Ich wollte schon immer mal eine hübsche Frau retten.« Sie lächelte, die Komplimente gefielen ihr. Elisa hört so etwas viel zu selten.

   »Das wird hoffentlich nicht nötig sein. Aber ich würde mir gerne ein bisschen die Beine vertreten.«

   »Kein Problem, das Feuer wird ein paar Minuten dauern. Nachher können wir auch zusammen nochmal runter gehen. Da gibt’s ein paar echt tolle Sachen zu sehen.«

Sie nickte und deutete dann mit dem Daumen in die Richtung des Weges an, dass sie losgehen würde. Frank zeigte ihr ebenfalls dem Daumen nach oben und machte sich wieder ans Feuer.

 

Der Weg hatte wirklich etwas besonderes an sich. Nach wenigen Metern wurde der Wald lichter, die Bäume dicker und höher. Da der Mondschein in einem guten Winkel hereinfiel, konnte man hervorragend zwischen ihnen hindurchsehen. Sie schlenderte an den hölzernen Markierungen entlang und sog die Luft ein. Sie war unfassbar klar, und angenehm schwer durch die Feuchtigkeit des Waldes. Perfekt nach solch warmen Sommertagen. Wenn man sich konzentrierte, konnte man sogar das Rauschen des Wassers hören. Und etwas anderes. Elisa hielt inne und lauschte. Es klang wie ein schweres Atmen, fast wie ein Röcheln. Sie schluckte den Kloß herunter, der sich bei dem Klang in ihrem Hals gebildet hatte und lauschte weiter. Instinktiv schloss sie auf ein verletztes Tier, doch es war schwer auszumachen, von woher das Geräusch kam.

Obwohl ihr Verstand ihr etwas anderes empfiehl, verließ sie den Pfad und ging in die Richtung, in der sie die Quelle vermutete. Ihr Herz schlug schneller und sie wusste nicht so recht, was sie tun sollte, wenn sie wirklich ein verletztes Tier finden sollte. Ihr war bewusst, dass das auch gefährlich für sie werden konnte. Gleichzeitig könnte sie es sich nicht verzeihen, wenn ihre Hilfe nötig wäre und sie nicht half. Ein Blick konnte nicht schaden. Wenn sich eine Gefahr zeigte, dann würde sie sofort umdrehen und zur Hütte zurücklaufen. Vermutlich war Frank sogar in Hörreichweite.

Das Laub knirschte bedrohlich unter ihren Sohlen, was es ihr fast unmöglich machte zu schleichen. Sie legte die Hand an einen der gigantischen Bäume, als gäbe er ihr Halt und ging nahe daran herum. Was sie dahinter fand, in diesem wunderschönen Dickicht, so nah der Blockhütte, neben diesem traumhaften See, war kein verletztes Tier. Fast hätte sie es gar nicht gesehen doch die Silhouette hob sich im Mondlicht von der Umgebung ab, und zeigte eine Form, die Elisa weder einem Tier noch einem Menschen zuschreiben konnte. Sie erkannte keine Details, dafür war das Licht zu schwach, doch sie erkannte deutlich, dass die stämmige Gestalt, die wenige Meter vor ihr an einem der Äste hing, etwas war, was sie niemals hätte erblicken sollen. Und in genau dem Moment, als ihr Blick darauf fiel, wusste sie, dass auch sie gesehen wurde.

Die unheilig rot leuchtenden Augen der Kreatur fixierten sie und schienen sie physisch festzuhalten. Alle Vorsätze, das Weglaufen, das nach Hilfe rufen, alles verschwand in den Hintergrund. Es blieb einzig der Schrecken und das Erstaunen.

   »Ein Eindringling«, erschallte eine scharrende Stimme überall um sie herum. Instinktiv wusste Elisa, dass sie dem Wesen gehörte, wenngleich der Ton von jeder Seite gleichzeitig zu kommen schien. Langsam, mit ruhigen Bewegungen zogen die kräftigen Arme das Wesen den Ast hinauf, sodass es kurz zum Teil dahinter verschwand und gleich darauf wieder zum Vorschein kam. Es ging in die Knie und nahm in der Hocke auf dem breiten Ast Platz. Durch die veränderte Position und das einfallende Licht konnte sie nun erkennen, dass es nackte sehnige Arme hatte, deren Haut im Mondlicht fahl grau schimmerte.

   »Eindringling.« Noch eine Stimme ertönte, dumpf und tief. Elisa erwartete ein zweites dieser Wesen, bis sie erkannte, dass ein weiteres Paar Augen auf den Schultern zu leuchten begann. Ihre Kehle schnürte sich zu und ihre Atmung beschleunigte sich. Tränen stiegen ihr in die Augen, doch sie war völlig unfähig sich zu bewegen. Dann erkannte sie im Schimmer, dass sich eine Hand um die Hüfte herum hervorbewegte, sich daran festhielt, und sich ein dritter Kopf vom Rücken her nachschob.

   »Muss weg! Muss weg!«, keifte die Stimme erbost.

   »Nein. Strafe.« Die tiefe Stimme brummte so tief, dass ihre Ohren zu schmerzen begannen.

   »Nein, ein Vertrag. Für das Eindringen muss Blut gezahlt werden.« Die Kreatur setzte sich wieder in Bewegung und hangelte sich mit langsamen sicheren Bewegungen den Baum hinab, bis es auf dem Boden zum Stehen kam.

Elisa konnte es nicht mehr stoppen, ihr Körper zuckte vor Panik, und sie schaffte es gerade so einen Schritt rückwärtszumachen. Doch sie stürzte rücklings, blieb am Boden sitzen und stützte sich mit den Ellbogen ab. Ihr Körper schien ihr nicht mehr zu gehorchen. Die Tränen liefen nun ungehindert ihre Wangen hinab.

   »Es läuft aus«, brummelte die tiefe Stimme, und wirkte dabei wie ein einfältiges Kind.

   »Nein, es weint.«

   »Ekelhaft.«

   »Es muss eine Wahl treffen. Mit wessen Blut wird gezahlt?«

Elisas Gedanken überschlugen sich. Wo war sie hier hingeraten? War das ein Albtraum? Sie war unfähig zu antworten, wenngleich sie spürte, dass das Wesen tatsächlich eine Antwort von ihr verlangte. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu und sie war einzig fähig den Bewegungen zu folgen. Langsam kam es näher, mit ungeahnt geschmeidigen Bewegungen, ganz ohne Eile.

»Wessen Blut?« Die Kreatur kam näher und näher.

»Was bist du?« Stammelte Elisa vor Schreck, doch es war kaum mehr als ein Wispern.

Sie erschrak, als sie in ihrer rechten Hand etwas spürte. Langsam hob sie den Arm und zuckte zusammen, als sie das dunkelgraue Messer erblickte, dass sie hielt, als wäre es schon die ganze Zeit dagewesen. Und noch mehr Panik erfüllte sie, als sie spürte, dass ihr Arm ihr nicht gehorchte, sondern sich weiterbewegte, bis das Messer an ihrer eigenen Kehle lag. Sie zitterte und schluchzte, konnte nicht verstehen was geschah.

»Es muss sich entscheiden«, wiederholte die Stimme, die einzige die Intelligenz zu besitzen schien. »Ihr Blut? Oder sein Blut?« Dann hob es den Arm und zeigte mit dem ausgestreckten Finger in die Richtung der Blockhütte, die durch die Bäume nicht mehr auszumachen war.

Während sie dort lag und zitterte, ihre Gedanken sich überschlugen, keifte die Stimme vom Rücken weiter und weiter. »Blut! Blut!«

Die Stimmen schienen nun gleichzeitig in ihrem Kopf zu schreien, während das Wesen sie anstarrte, nur noch eine Körperlänge von ihr entfernt. Obwohl es im Licht stand, schaffte Elisa es nicht es anzuschauen. Der kurze Blick, den sie auf die abnormal geraffte braungraue Haut erhaschen konnte, hatte ihr tierische Angst gemacht. Sie neigte den Kopf nach unten, atmete noch immer hektisch, drohte fast zu ersticken. Dann traf sie eine Wahl.

 

Elisa konnte nicht glauben, dass sie in diese Situation geraten war. Sie hätte niemals mit Frank mitgehen dürfen. Doch wer hätte das geahnt?

Wer hätte vor wenigen Stunden, im lauschigen Ambiente des Corner damit rechnen können, dass sie, Elisa Rose, Assistenz in einer Anwaltskanzlei, mit blutverschmierten Ärmeln, schluchzend durch einen ihr unbekannten Wald stolpern würde? Wer hätte ahnen können, dass sie soeben einen Schauplatz hinterlassen hatte, den sie nicht einmal den meisten ihrer Klienten zugetraut hätte.

Ein Leben zu nehmen. Niemals hätte sie sich so etwas zugetraut, vor allem nicht einen guten Menschen wie Frank. Doch sie konnte nicht anders. Die Gedanken an ihre Schwester, die unschuldige Sophie, die schon so viel im Leben verloren hatte, hatten sie zum Unmöglichen getrieben. Und ihr Vater, der allein in seinem Heim saß? Wäre er noch bei klarem Bewusstsein, würde er ihre Entscheidung verstehen? Würde er gutheißen, dass sie ihr Versprechen wahrgemacht hatte, dass sie alles für ihre Schwester tun würde?

Und Sophie? Würde sie es gutheißen, wenn sie davon wüsste?

Nein, niemals. Sie dürfte es niemals erfahren.

Elisa stolperte weiter verzweifelt die Markierungen entlang. Was sollte sie jetzt tun? Ihre Ärmel, ihr Shirt, ihre Schuhe, alles war blutverschmiert. Niemals könnte sie das jemandem erklären. Die Tränen nahmen ihr so viel von ihrer Sicht, dass sie beinahe das Auto nicht erkannt hätte. Selbst der Mondschein schien nachgelassen zu haben. Sie fühlte sich, als wäre sie blind, wie in einer unendlichen Dunkelheit. Mit Müh‘ und Not riss sie die Tür des rostigen Jeeps auf und kletterte in den Sitz. Ihr Gesicht vergrub sie tief in ihren blutigen Händen und weinte ungehemmt. Nach einigen Sekunden schluchzte sie erneut tief, während sie versuchte das Beben ihres Körpers zu bremsen. Die junge Frau nahm einen tiefen Atemzug und lehnte den Kopf zurück an die Stütze des Sitzes.

Fast wäre ihr Herz ein zweites Mal an diesem Abend zum Stillstand gekommen, als sie die Stimme neben sich vernahm.

   »Es war eine gute Wahl.« Frank saß neben ihr. Sein Shirt triefte zwar vor Blut, doch es gab kein Anzeichen einer Verletzung. Er lächelte, doch es war so viel kälter als in den gemeinsamen Momenten zuvor.

   »Gute Wahl«, brummte die tiefe Stimme, dieses Mal direkt in ihrem Kopf.

   »Der Vertrag ist unterschrieben«, wisperte die scharrende Stimme hinterher.

Panisch riss sie ihre Augen auf und rüttelte am Türgriff, doch so sehr sie sich auch bemühte, sie ließ sich nicht öffnen…

 

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